Reha Medical Park

 

 

Im Medicalpark angekommen, bezogen wir unser Zimmer. Wir staunten nicht schlecht. Das Zimmer sah überhaupt nicht aus wie ein Krankenzimmer. Es stand zwar ein Krankenbett im Zimmer, aber ansonsten fühlte man sich wie in einem Hotel, mit Klimaanlage, Minibar und Fernseher an der Wand, große bis zum Boden gehende Fenster mit Blick auf den Tegeler See. Wir wurden durch den leitenden Professor und der Oberärztin begrüßt. Sie erklärten uns den weiteren Ablauf und machten sich ein Bild von Anni. Danach erfolgten wieder einige Untersuchungen. Die Ärzte erklärten uns, daß in der Regel dort Schlaganfallpatienten aufgenommen werden und diese meist auch älter sind. Aber da wir wegen des guten und umfangreichen Therapieangebotes dort waren und Anni in erster Linie nicht medizinisch versorgt werden musste, war das nebensächlich. In den ersten Gesprächen merkten wir gleich wieder, die Ärzte behandeln nach Schema F und betrachten nur den Istzustand.

Am nächsten Tag wurde der Therapieplan für Anni aufgestellt mit Ergo, Logo- und Physiotherapie, aufgeteilt auf den Vor- und Nachmittag. Das Angebot ist sehr umfangreich, mit integrierter großen Schwimmhalle, Gangtrainer, Stehtische, Radtrainer, Massagen und vieles mehr. Zum Zeitpunkt als wir dort waren praktizierte gerade eine chinesische Ärztin, die ihr Wissen über Akupunktur an die Therapeuten weiter vermittelte. Anni wurde auf unser Bitten hin dann auch von ihr behandelt. In den ersten Tagen folgte auch eine routinemäßige Ultraschalluntersuchung in der die inneren Organe, Adern und Venen überprüft werden. Hier konnte ich über die Oberärztin wieder einmal nur den Kopf schütteln. Sie stellte fest, daß sich in Anni's Blase Urin befand und meinte daraufhin " Oh wir müssen einen Katheter legen". Einen dauerhaften kleinen Schlauch der in die Harnröhre eingeführt wird mit einem am Bett hängenden Auffangbeutel. Da Anni ja bereits Windeln trug, wir nannten sie immer Hygieneschlüpfer, sahen wir keinen Sinn darin, dies zu ändern. Ein Schlauch in der Harnröhre bedeutet immer ein erhöhtes Infektionsrisiko für den Patienten. Anni hatte keine Probleme mit dem Urin ablassen, also fragte ich die Oberärztin weshalb denn einen Katheter legen, was soll das für einen Sinn haben. Ihre Antwort war " Na weil Urin in der Blase ist". Ich verstand den Sinn ihres Vorhabens nicht und sagte " Ja na und? in meiner Blase ist auch was drin und bei Ihnen ganz sicher auch, also welchen Sinn soll der Katheter denn haben, wenn Anni genug drin hat und pullern muss, pullert sie" Sie fing dann daraufhin an rumzustottern und meinte, ja das machen sie bei den älteren Patienten immer so. Na jedenfalls haben wir diesen Katheter abgelehnt da er unnötig war. Wahrscheinlich hatte sie nicht bedacht, daß wir Anni durchgehend betreuen, denn ich denke die Patienten werden kathetert damit sie nicht saubergemacht und gewickelt werden müssen. Arbeitserleichterung! Allerdings wurde bei dieser Untersuchung auch festgestellt, daß Anni eine leichte Venenthrombose im linken Oberschenkel hat. Dort lag im Krankenhaus ihr Venenkatheter über den ihr Medikamente und Flüssigkeit gegeben wurde. Aber wir hatten Glück, die Vene war nicht ganz verschlossen und so reichten Thrombosestrümpfe für die nächsten zwei Wochen und eine geringe Dosis Heparin, um das Blutgerinsel zu lösen. Diese Minimaldosis behielten wir bei, damit sich nochmal eine Thrombose bilden konnte. Bei Menschen die sich wie Anni nicht selbstständig bewegen ist Gefahr groß, daß sich eine Thrombose bildet. Anni bekam jeden Tag eine kleine Spritze ins Unterfettgewebe an Bauch und Oberschenkeln. Dementsprechend sahen später diese Stellen auch aus, denn fast jeder Stich zieht einen kleinen blauen Fleck nach sich.

Viel herzlicher und kompetenter war das große Team an Therapeuten, die sich rührend um Anni kümmerten. In der Zeit als wir dort waren, haben sie eine Menge vollbracht. Anni konnte ja anfangs wirklich garnichts. Zum Beispiel die Physiotherapie. Mit Vojta, Steh und Haltungsübungen, konnte Anni bald wieder ihren Kopf alleine oben halten und die Spastiken wurden gelöst. Dabei halfen natürlich auch Übungen im Schwimmbad. Durch Logo- und Ergotherapie hat Anni es auch geschafft, wieder ganze Mahlzeiten, natürlich püriert  zu essen und kontrolliert zu schlucken. Sie nahm dadurch wieder an Gewicht zu und kam zu kräften. Ihre Augen wurden leider nicht viel besser. Durch Akupunktur schaffte Anni es zwar, ihre Lider einen Spalt zu öffnen, aber die Augen bewegten sich nicht syncron. Durch Klebestrips haben wir zeitweise jeweils ein Auge aufgeklebt, um so ihre Augen zu animieren. Blind war Anni nicht, denn an ihren Reaktionen merkten wir, dass sie sehen konnte und belohnte uns oft mit ihrem Lächeln.

Anni machte gute Fortschritte in dieser Zeit, aber wir wussten auch, daß sie nie mehr wie früher werden konnte, dafür war zu viel verloren gegangen. Unsere Vermutung die wir schon von Anfang an hatten, nämlich das Anni alles verstand was man sagt, wurde auch immer mehr bestätigt. Das zeigte sie uns mit einem lächeln wenn es was zu schmunzeln gab oder sie verzog das Gesicht wenn ihr etwas nicht gefiel. Manchmal musste Anni auch weinen und dies sah man dann auch ganz deutlich. Dann weinten wir zusammen bis es wieder gut war. Wenn wir Anni eine Frage stellten schaffte sie es häufig, darauf mit einem Daumen hoch zu antworten. Wir hatten das Gefühl, sie kam immer mehr zu sich und kontrollierte mehr und mehr ihren Körper, alles mit ganz ganz kleinen Schritten.

So vergingen die Wochen. Meine Frau blieb bei Ihr und ich ging arbeiten und danach in die Reha. Doreen hat dann versucht auch wieder arbeiten zu gehen. Also lösten wir uns ab, wenn ich nachmittags kam, ging Doreen zur Arbeit, vier Stunden. Entweder schlief ich dann bei Anni oder Doreen, je nachdem wie lange es dauerte. Der Medicalpark war unser neues zu Hause. Zusätzlich mussten wir aber auch unsere Hunde versorgen, was aber gut klappte mit der Hilfe meiner Eltern und meines Bruders.

Mitte Oktober bekam Anni plötzlich hohes Fieber. Die Ärzte wollten von uns schnellstens wissen, in welches Krankenhaus wir mit Anni möchten. Man merkte, sie wollten uns schnellstens loswerden, denn Fieber haben bestimmt auch mal andere Patienten. Doreen rief Professor Vogel an und er riet uns dann in die Vivantes Klinik Freidrichshain zu fahren. Mit diesem Krankenhaus arbeitet er eng zusammen und dort werden seine Patienten stationär versorgt Wir warteten dann auf den Krankentransport und packten unsere Sachen, denn wir mussten natürlich auch gleich "auschecken", allerdings mit der Option wieder zurückzukommen wenn es nicht länger dauert.

Die Kinderstation der Vivantesklinik hat uns erstmals positiv überrascht. Das war die erste Klinik in der man das Gefühl vermittelt bekam, der Patient ist nicht nur eine Nummer mit der Geld zu verdienen ist. Hier steht wirklich noch der Patient bzw. das Kind an erster Stelle. Nicht nur Professor Girschick der die Kinderstation leitet, auch seine Ärzte insbesondere Frau Dr. Brosch und auch die dort arbeitenden Krankenschwestern, leisten hervoragende arbeitet. Wir fühlten, hier steckt auch viel Herzblut in der Arbeit. Alles nehmen sich Zeit, hinterfragen und erklären alles ausführlich. Die Krankenschwestern sind noch echte Schwestern und nicht nur Kräfte die Tabletten hinstellen, oder das essen austeilen. Ich kann nur jedem empfehlen, falls man mit seinem Kind mal ins Krankenhaus muss, ins Vivantes zu gehen und  wir haben schon einige kennenlernen dürfen.

Als wir ankamen macht sich die Ärzte erstmal mit unserer Situation vertraut und nahmen Anni zuerst Blut ab, um die Blutwerte zu kontrollieren. Äußerlich konnte man nicht erkennen woher das Fieber kam. Anni kam an den Tropf um sie mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Am späten Abend dann unser nächstes Schockerlebnis. Ihr Gesicht fing plötzlich an, wild zu zucken, besonders ihre Augen und ihr Mund, dann fing der rechte Arm an und das rechte Bein. Der Überwachungsmonitor fing sofort an zu piepen und rief die Schwestern und eine Ärztin herbei. Anni's Puls schnellte in die Höhe. Der erste epileptische Anfall. Wir standen unter Schock und hatten große Angst um unser Kind. So einen Anfall hatten wir zuvor noch nie gesehen.Die Ärztin verabreichte Anni eine Dosis Diazepham in den Po, woraufhin sie sich langsam beruhigte. Mittlerweile war Anni schweißgebadet. Da man dem Medikament Zeit zum wirken geben muss, wurde gewartet und die Zuckungen ließen nach. Nach etwa 10 Minuten wurden sie allerdings wieder stärker anstatt aufzuhören und ein zusätzliches Medikament wurde gespritzt. Die Zuckungen ebbten nun langsam ab, nur ihre Augen zitterten noch leicht. Eine halbe Stunde später war der Anfall vorüber. Jetzt also auch noch epileptische Anfälle. Wir dachten, was muss unser armes Kind noch alles durchmachen. Professor Girschick erklärte uns am nächsten Morgen, daß Hirntumorpatienten oftmals an epileptischen Anfällen, elektrischen Entladungen im Gehirn, leiden und immer ein erhöhtes Risiko für Anfälle besteht. Bei Anni war es wahrscheinlich so, daß sie einen kleinen Infekt hatte, der ihr Fieber ausgelöst hatte und gleichzeitig auch den Anfall.

Danach war Anni für 5 Tage erstmal lahmgelegt. Zum Einen durch den Anfall selbst der auch gleich sehr anstrengend ist, aber auch durch die starken Medikamente, so als wenn sie lange schläft. Das läßt sich schwer in Worten beschreiben. Ihre Körperspannung, an die wir mittlerweile gewohnt waren, war nicht vorhanden und ihre eigenen Bewegungen fehlten. Auch so zeigte sie wenig Reaktionen. Essen ging nur sehr wenig und Flüssigkeit garnicht, also brauchte sie weiterhin Flüssigkeit über den Tropf. Nach etwa wie gesagt 5 Tagen rappelte Anni sich wieder auf und war wieder annnähernd "die Alte". Diese Anfälle sind sehr kräftezehrend und werfen einen immerwieder weit zurück. Wir hatten das Gefühl, immer wenns einen Schritt vorwärts ging, gehts zwei Schritte zurück. Jetzt gab es wieder ein Medikament zusätzlich, Timox ein Antiepileptikum, welches sie morgens und abends einnehmen musste in flüssiger Form. Damit wird ein gewisser Spiegel gehalten, der die Anfallsschwelle höher setzt. Aber leider kann auch ein Medikament keine Anfallsfreiheit garantieren, was wir bald später erfahren durften. Aber erstmal gingen wir davon aus, dass damit das Thema epileptische Anfälle erledigt sei.

Anni hatte ihren Anfall und den Infekt überstanden und somit ging es wieder zurück zur Reha in den Medicalpark. Wir bekamen sogar unser altes Zimmer. Die Therapeuten freuten sich, dass wir wieder da waren und Anni machte wieder jeden Tag Sport. Die Kontroll MRT's waren alle negativ, sprich kein neues Tumorwachstum. Alle waren sehr motiviert weiter zu machen. So verliefen die nächsten Wochen. Wir mussten uns nun langsam Gedanken machen, wie es weiter geht, denn die Rehaklinik ist ja keine Dauerlösung und in der Regel bleibt man eigentlich nur 6 Wochen. Mittlerweile lebten wir ja 1 Jahr in verschiedenen Kliniken mit einigen wenigen Abstechern nach Hause. Es wurde langsam Zeit, mit unserer kranken Tochter, nach Hause zu gehen. Dazu musste aber noch allerhand vorbereitet werden, wie z.b. ein vernünfiges Pflegebett und einen Rollstuhl zu besorgen, einen Treppenlift einzubauen, und neue Therapien zu organisieren. Aber das wichtigste war erstmal das Pflegebett, alles andere hatte Zeit und konnte von zu hause erledigt werden. Im Dezember 2010 war die Reha dann beendet. Das Team der Therapeuten war durchweg herzlich und angagiert, sie haben ihre Arbeit wirklich toll gemacht. Rundherum gäbe es noch viele kleine Anekdoten, insbesondere in Bezug auf die Ärzte und Schwestern dort. Wir konnten so manchesmal die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Wenn ich eine Verletzung gehabt hätte oder eine Operation nach was auch immer, ohne auf weitere ärztliche Hilfe angewiesen zu sein, würde ich jederzeit den Medical Park empfehlen. Nur wenn man zusätzlich auf weitere medizinische Hilfe angewiesen ist, dann ist man dort wirklich flasch.

 

                                                                                        weiter bei wieder zu Hause