Bestrahlung-Chemotherapie

 

 

Wir hatten neue Hoffnung geschöpft und sind in die Kinderonkologie Berlin Buch umgezogen. Im Vorfeld hatten wir uns zusammen mit Anni auch die Kinderonkologie im Virchow-klinikum angeschaut und haben sie entscheiden lassen. Für Kinder ist ja auch das Ambiente wichtig und Ihre Wahl fiel auf Buch. Im Virchow-klinikum wirkte alles sehr kalt, unpersönlich und trostlos. Ganz anders in Buch, die Kinderonkologie befand sich damals noch in einem sehr alten Gebäude auf einem riesigen Nebengelände. Zwischen den Gebäuden war viel Grün und man konnte dort lange ruhige Spaziergänge machen. Auch die Station war für Kinder und Jugendliche ansprechender. Hier war alles bunt und fröhlich eingerichtet. Auch das Pflegepersonal war insgesamt freundlicher. Die Küche, die immer von einer netten Küchenfee betreut wurde, befand sich in der Nähe der Zimmer. Immer ein Treffpunkt für Kinder oder Eltern um sich auszutauschen. Auch das weitere Drumherum gefiel uns sehr gut. Neben der normalen Physio- und Ergotherapie gab es dort eine Lehrerin, die, wenn die Kinder gesundheitlich in der Lage waren, Unterrricht gegeben hat. Unter dem Dach war ein riesiger Bastelbereich eingerichtet und 2 mal die Woche kamen Musiktherapeuten. Insgesamt gefiel uns das gesamte Rundumpaket und ein weitere Aspekt war, wir waren in der Nähe von unserem Zuhause, 20 Minuten mit dem Auto entfernt.

Aber das war nur die eine Seite. Mit der ärztlichen Betreuung sah es schon ganz anders aus. Wie vorher schon erwähnt, gab es im Vorfeld lange Gespräche, die mich als Laien schon manchmal an der Kompetenz zweifeln ließen. Ich hatte oft das Gefühl, daß ich mit meinem angelesenen neuen Wissen mehr über die ganze Materie wusste, als die dort arbeitenden Oberärzte, Ärzte oder dem leitenden Proffessor. Das wurde immer wieder deutlich. Mit dem leitenden Professor hatte ich vorher mehrmals telefoniert und auch gemailt. Er erzählte mir immer wieder, dass auch die Wirbelsäule bestrahlt werden müsse, oder das Temodal nicht das richtige Chemomedikament wäre. Mir schien es, dass er garnicht wusste, was die HT 2000 Therapie beinhaltet, wie ein Glioblastom bei Kindern behandelt wird. In einem anderen Gespräch entschuldigte sich dann eine Ärztin dafür, der Professor habe da was verwechselt ^^. Allerdings hatten die Anderen anscheinend auch nicht viel mehr Ahnung. In Vorgesprächen wurde ich gleich gefragt, ob ich vom Fach sei, da ich sehr fachspezifische Fragen stellte. Aber nein; ich bin nur ein Vater der sich schlau gemacht hat und das Bestmögliche für sein Kind möchte. Die Studie selbst hatten sie natürlich auch nicht da, sondern musste erstmal beschafft werden. Letztendlich haben wir uns dann auf die Standardtherapie geeinigt und es sollte schnellstmöglich losgehen.

In der ersten Woche mussten einige Vorbereitungen getroffen werden, wie das Anfertigen der Kopfmaske oder das Festlegen des Bestrahlungsplanes. Anni sollte mit der höchstmöglichen Bestahlung von 59,4 Gray bestrahlt werden. Dazu wurde in der ersten Woche die Kopfmaske  angefertigt. Zur Sicherheit, um Sicherzustellen das sich im Hirnwasser keine Krebszellen befinden, wurde in einer Minioperation Hirnwasser aus dem Rückenmark entnommen und überprüft, Ergebnis: keine Krebszellen im Hirnwasser. Auch mit der Physio- und Ergotherapie wurde begonnen und ein Schulplan wurde aufgestellt. Wir waren guter Dinge, der weitere Therapieplan stand fest und Anni macht täglich kleine Fortschritte und erholte sich. Doch am Ende dieser Woche folgte der nächste Rückschlag. Uns fiel auf, dass Anni den Kopf wieder schräg in den Nacken zog und sie plötzlich einfach nicht mehr sprach. Ich vermutete gleich, dass wieder etwas nicht mit dem Hirnwasser stimmte und es wieder sehr nach Meningitis aussah. Aus dem Ventil Ihres Shunts wurde Hirnflüssigkeit entnommen und auf Viren geprüft. Der Verdacht hatte sich bestätigt und es hieß, Ihr Shunt sei infiziert und müsse sofort entfernt werden. Ob die alte Meningits nicht richtig ausgeheilt war, oder Anni bei der Rückenmarkpunktion neu infiziert wurde, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Aber das beste war, nachdem es hieß Anni muß notoperiert werden, sei Buch nicht zuständig, das muß die vorher operierende Neurochirurgie machen.

Wir sind also mit dem Krankenwagen zurück ins St. Getrauden Krankenhaus. Mich hätte nicht gewundert, wenn wir selber hätten fahren sollen. Dort wurde in einer sofortigen Notoperation der Shunt entfernt und eine Drainage nach außen gelegt. Mit einer erneuten Antibiotikabehandlung wurde sofort begonnen und Anni ging es bald wieder besser. Nach etwa zwei Wochen war diese zweite Meningitis überstanden und ein neuer Shunt wurde in einer weiteren Operation eingesetzt. Eine Untersuchung des entnommenen Shuntes ergab übrigens, dass er nicht infiziert war und man Anni diese beiden Operationen hätte ersparen können. Eine Woche später sind wir dann zurück nach Buch um nun endlich mit der Therapie zu beginnen.

Die nächsten 6 Wochen wurde von Montag bis Freitag bestrahlt . Dazu wie vorgeschrieben täglich eine geringe Dosis Temodal. Jedem Tag bekam Anni Physio- und Ergotherapie, Massagen und übte ihre Fingerfertigkeiten mit Bastelein. Anni erholte sich zusehens. An den Wochenenden konnten wir, auch nach langen Diskussionen nach Hause. Das war für Anni das Schönste. Nach monatelangen Krankenhausaufenthalten und mehreren Operationen, ständig fremden Leuten um sie herum, einfach zu Hause zu sein. Hier konnte sie diese ganze Last ablegen die täglich auf ihr lag. Hier konnte sie durchatmen und zur Ruhe kommen. Diese Wochenenden haben wir sehr genossen und sind Sonntag abend oder Montag früh wieder schweren Herzens zurück in die Onkologie gefahren. Wir ersehnten das Ende der Therapie, um wieder halbwegs ein normales leben führen zu können.

Anni hat in der Zeit alles neu gelernt, sei es das Laufen oder die Koordination mit den Händen, greifen, alleine essen. Geistig wurde sie auch wieder fitter, war nicht mehr den ganzen Tag so müde und hatte mehr vom Tag. Ihre Augen wollten immernoch nicht richtig, aber Professor Vogel meinte, das dauert und wird schon. Wir hatten insgesamt ein gutes Gefühl. Nach Ende der Behandlung wurde die Chemo im 23/7 Zyclus weitergeführt, geplant für 1 Jahr. 23/7 bedeutet 23 Tage Temodal einnehmen und 7 Tage Pause. Die stationäre Therapie wurde beendet und wir wurden nach Hause entlassen, Blutwertkontrollen einmal in der Woche. Nach 6 Wochen sollte das erste Kontroll MRT stattfinden. Zuhause hat meine Frau sich um weitere tägliche Therapien gekümmert und organisiert. Ich ging wieder zur Arbeit und der Alltag fing an, sich wieder zu normalisieren.

Nach 4 Wochen ging es zur geplanten Anschlußreha nach Brandenburg Hohenstücken, eine spezielle Einrichtung für Kinder und junge Erwachsene mit neurologischen Erkrankungen. Ich muss sagen, eine sehr schöne Klinik mit einem tollen und umfangreichen Angebot. Anni hat es dort auch gefallen, es gab einem das Gefühl von Urlaub mit vielen Angeboten. Die Zimmer waren sehr gut ausgestattet und es gab viele Therapieblöcke mit Hunden und Pferden. Der kleine Minizoo wurde täglich besucht. Ihr Therapieplan war umfangreich und speziell auf Sie zugeschnitten. Meine Frau war mit Anni in Hohenstücken und am Wochenende fuhr ich sie besuchen. Da ich bereits wieder arbeitete, blieb ich daheim und wir telefonierten jeden Abend per Webcam. Anni's Zustand besserte sich weiter. Der übliche Haarausfall während oder nach der Bestrahlung blieb aus, Anni nahm weiter ihr Temodal. Das Cortison haben wir nach Ende der Bestrahlung ausgeschlichen und durch indischen Weihrauch ersetzt. Dadurch normalisierte sich auch wieder ihr Aussehen und die durch Cortison bedingte Aufschwemmung ging schnell zurück. Das Aussehen ist ja bekanntlich für junge Mädchen sehr wichtig.

Zwei Wochen Reha sind vergangen und das erste Kontroll MRT stand an. Wir hatten ein gutes Gefühl. Anni ging es immer besser, was sollte da schon sein, veilleicht hat die Bestrahlung in Kombination mit Temodal gut angeschlagen und den Rest auch verschwinden lassen. Aber unsere gute Zeit sollte vorbei sein und der nächste Rückschlag folgte.

Montag früh wurde das MRT im Klinikum Buch durchgeführt und wir warteten in der Kinderonkologie auf das Ergebnis. Die Wartezeit kam uns endlos vor und wir fragten uns schon, was denn da so lange dauert. Am späten Nachmittag war es dann soweit und meine Frau und ich wurden ins Oberärztezimmer gerufen. Dort wurde uns dann das niederschmetternde Ergebnis mitgeteilt; der Tumor sei wieder gewachsen und hätte die Ursprungsgröße erreicht. Der im Kopf verbliebene Teil, war anscheinend doch nicht so verkalkt und ruhig, sondern blühte regelrecht auf. Nach Ansicht der Oberärztin sollten wir auch nichts mehr machen. Ihr Vorschlag war, fahren sie doch gemeinsam wieder zurück zur Reha und geniessen sie die Zeit. Nach ihrer Einschätzung hätte Anni noch ein Lebenserwartung von 3 bis 6 Monaten. Das kam für uns natürlich nicht in Frage, denn was bringt in dem Fall noch die Reha? Anni hatte bis hierhin so lange und hart gekämpft und doch hat es nichts gebracht, all Ihr Schmerz und ihr Leid, die ganzen Strapazen alles umsonst.

Mit Tränen in den Augen fuhren wir dann nach Hause anstatt wieder nach Hohenstücken in die Reha. Hier erzählten wir Anni dann in Ruhe das Ergebnis der Untersuchung. Dem "schrecklichen Sven" so hatte Anni anfangs ihren Tumor getauft, ist leider wieder ein Arm gewachsen. Wir weinten zusammen und hielten uns in den Armen. Nach einer Weile, typisch unsere Anni, fragte sie dann " na ok, können wir jetzt einen Royal TS essen?" Ich fuhr zu MC Donalds und holte eine große Tüte Hamburger. Wir wollten Anni, wie von Anfang an, in alle Entscheidungen mit einbeziehen und besprachen, was wir jetzt als nächstes tun wollen. Den Kopf in den Sand stecken und aufgeben kam für uns nicht in Frage, schon garnicht nach dem langen, steinigen und schweren Weg bis hierher. Das durfte einfach nicht alles umsonst gewesen sein.

Am nächsten Tag hatten wir gleich einen Termin bei Professor Vogel im St. Getrauden Krankenhaus, um uns seine Meinung einzuholen. Er schaute sich die Bilder an und sagte, er würde nochmal operieren. In der Regel verkraften Patienten so eine Rezidivoperation besser, zumal er auch den gleichen Weg hinein in den Kopf nehmen würde. Diese Aussage nahm uns die Angst vor einer erneuten Operation und auch Anni stimmte ihr zu. Also wurde der neue OP-Termin auf den 10.06.2010 gelegt.

 

                                                                                           weiter bei Zweite Operation